[english below]
Rachel Margolis feiert heute ihren 91. Geburtstag. Im Juli dieses Jahres hatten wir das Glück, sie persönlich kennenzulernen, als wir bei ihr und ihrer Tochter Emma in Rehovot, Israel, zu Gast waren. Ihre anfängliche Vorsicht wich bald Herzlichkeit, und so lernten wir die ehemalige Partisanin und Weggefährtin Fania Brancovskajas als vom Alter geschwächte, aber sehr wache und beeindruckende Persönlichkeit kennen.
Rachel Margolis hatte das Ghetto in Wilna/Vilnius einige Wochen vor ihrer Jugendfreundin Fania Anfang September 1943 verlassen. Sie schloss sich
einer sowjetischen Partisan_inneneinheit in den Wäldern von Narotsch an, bis sie in die Einheit von Fania wechselte, die in den Rudnicki-Wäldern operierte. Hier beteiligte sie sich am Kampf gegen die deutschen Besatzer und überstand eine schwere Typhuserkrankung. Von jüdischen Männern, die von der Massenexekutionsstätte in Ponar
geflohen waren, wo sie die Überreste von zehntausenden Leichen exhumieren und verbrennen
mussten, erfuhr sie Details von den Verbrechen der Deutschen und deren litauischer Helfer. Unter den etwa
100 000 in Ponar ermordeten Menschen waren auch Rachels Eltern und ihr
kleiner Bruder Josef.
Die damals überzeugte Kommunistin Rachel Margolis gehörte - mit Fania - zu den wenigen Wilnaer Jüd_innen, die nach dem Krieg in ihrer Heimatstadt blieben. Sie half, das Jüdische
Museum aufzubauen (das die Sowjets 1949 schlossen), heiratete, bekam
eine Tochter, studierte Biologie und wurde Dozentin an der
Universität.
Im Zuge der Perestroika begann sie, sich beim Aufbau eines neuen jüdischen Museums zu engagieren. Dabei entpuppte sie sich als kompetente Archivarin und Historikerin, die u.a. das Tagebuch des polnischen Journalisten
Kazimierz Sakowicz entdeckte, der in Ponar gelebt und akribisch den Massenmord dokumentiert hatte. Sakowicz kam unter ungeklärten Umständen ums Leben, aber seine Aufzeichnungen überdauerten im Archiv, wo sie vier Jahrzehnte mit dem Siegel "unleserlich" lagerten. Dieses erschütternde, einmalige Zeugnis des Holocausts in Litauen entziffert und herausgegeben zu haben, gehört zu den besonderen Verdiensten von Rachel Margolis.
1994 folgte Rachel Margolis ihrer Tochter nach Israel, besuchte Wilna jedoch jeden Sommer, um ihr Engagement für die Aufarbeitung der Vergangenheit fortzusetzen - bis ins Jahr 2008, als ihre gerade veröffentlichten Memoiren die litauische Staatsanwaltschaft dazu motivierten, gegen ihre Freundin Fania zu ermitteln und sie als Zeugin zu vernehmen.
Seitdem traut sich Rachel Margolis nicht mehr in ihre Geburtsstadt, was ihr, wie wir im Juli erfahren mussten, großen Kummer bereitet. Wir hoffen durch unseren Film, ihr und ihrem Kampf für die Gerechtigkeit ein wenig zu helfen.
Liebe Rachel, wir danken Dir an dieser Stelle noch einmal für das Vertrauen und wünschen Dir alles erdenklich Gute - vor allem
Gesundheit!
Mazl-tov tsu dayn geboyrn tog, Rachel. Biz Hundret un Tsvantsig!
Today, Rachel Margolis is celebrating her 91st birthday. In
July this year we were fortunate to meet her personally, when
we were invited to her daughter's house in Rehovot, Israel. Rachel's initial caution soon gave place for warmness, and so we got to know the former
partisan and companion of Fania Brancovskaya, though weakened by age, as a very bright and impressive personality.
Rachel Margolis had left the ghetto a few weeks before Fania Brancovskaya in the beginning of September 1943. She
joined a Soviet partisan unit in the forests of Naroch and subsequently the Jewish unit of Fania, which operated in the forests of Rudnicki. She took part in the struggle against the German occupiers and survived a severe typhoid fever. Of
Jewish men who had escaped from the mass execution site in Ponar, where
they had been forced to exhume and burn the remains of tens of thousands dead, she
learned details of the crimes of the Germans and their Lithuanian helpers against the Jewish people. Among the approximately 100.000 who were murdered in Ponar were Rachel's parents and her little brother Joseph.
After the war Rachel Margolis was - along with Fania - one of the few Vilna Jews who remained in their home town. At that time a convinced communist she helped building the Jewish Museum (which the Soviets closed in 1949), married, had a
daughter, studied biology and became a lecturer at Vilna university.
In the course of perestroika, she got involved in building the new Jewish museum whereas she proved to be a competent archivist and historian. She discovered the
diary of the Polish journalist Kazimierz Sakowicz, who had
lived in Ponar and meticulously documented the mass murder. Sakowicz
was killed under mysterious circumstances, but his records survived in the
archives, where they were kept four decades classified as "illegible". Deciphering
and editing this shocking, unique testimony of the Holocaust in Lithuania is one particular merit of the late Rachel Margolis.
In 1994, Rachel followed her daughter to Israel, but kept visiting Vilnius every summer to continue her commitment in researching and teaching the Holocaust - until 2008, when the publication of her memoirs motivated the Lithuanian Prosecutor's office to investigate her friend Fania and to hear Rachel as a witness. Since then, Rachel Margolis does not dare to return to her native city, what, as we had to learn in July, causes her great sorrows. Through our movie, we hope to support her and her struggle for justice a little bit.
For her birthday we wish her the very best - especially health!
Mazel tov, Rachel. Ad Meah V'Esrim!
No comments:
Post a Comment